Ihr Freunde, kommen wir zu einem gemeinsamen Wort

Diese Überschrift zitiert leicht abgewandelt eine Koran-Stelle1. Der Inter-Religiöse Runde Tisch von Köln Mülheim (IRRT) hielt 2016 beim Birlikte Fest einen Vortrag zum Thema 'Was verbindet die Religionen?' und wählte dazu dieses Zitat als Motto.

'Freunde', das ist die Herangehensweise: Gemeint ist nicht, mein Kumpel von nebenan, sondern der Mitmensch, der Erdenbürger. Wir kommen zueinander, wir gehen aufeinander zu. Wir kommen zu einem gemeinsamen Wort. Darin steckt viel von dem, was interreligiöse Arbeit ausmacht. Das Wort schlägt eine Brücke. Das Wort schafft Verbindung.

Das Wort bedeutet Dialog

Was verbindet die Religionen? Das ist die Frage, die den Schwerpunkt interreligiöser Arbeit zum Ausdruck bringt. Das ist die Arbeitsgrundlage. Etwas Verbindendes zu betonen, schafft einen Wert. Etwas Trennendes zu betonen, schafft einen Wert ab.

Und wir sind ja von der Werteschaffenden Gesellschaft, der Soka Gakkai. In der Charta der SGI heißt es unter Ziele und Grundsätze, Punkt 7: "Die SGI wird, auf der Grundlage des buddhistischen Geistes der Toleranz, andere Religionen respektieren, mit ihnen in Dialog treten und für eine Lösung grundlegender, humanitärer Probleme zusammenarbeiten."2

Im Lotos-Sutra gibt es keinen Aufruf zum interreligiösen Dialog. In der Zeit seines Entstehens vor gut 2000 Jahren verfolgte es nebenbei auch eine religions-politische Absicht wenn es die Dogmen des Theravada für ungültig erklärt. So heißt es im zweiten Kapitel, direkt im dritten Satz, den der Buddha äußert, nachdem er aus seiner Meditation tritt: "Weder die Stimmen-Hörer, noch die Pratyekabuddhas sind fähig, das Tor zur Weisheit zu begreifen." Gemeint sind hier die Ausübenden der Vorläufigen Lehren des Pali Kanons. Und im 16. Kapitel wird der Buddha noch deutlicher: "Es gibt keine Geburt und keinen Tod, weder Umkehr noch Entkommen, und es gibt auch keine Existenz in der Welt und kein Verlöschen, keine Realität und keine Leere, kein Sosein und kein Anderssein."3 Hier wird dem Buddha die Absage an die Theravada Buddhisten in den Mund gelegt und die Lehre vom Verlöschen im Nirvana bestritten.

Aus den Schriften Nichirens kennen wir die religiösen Debatten, die er führte. Eine Art Schlagabtausch, der mit Argumenten und Zitaten der Schriften vor einem hohen Herren öffentlich abgehalten wurde. Wer in der Debatte unterlag, musste Anhänger des Siegers werden oder verlor sein Gesicht. In der Gosho 93 - 'Wie ein Verfechter des Lotos-Sutras handelt' wendet sich Rokuro Saemon mit folgenden Worten an Nichirens Kritiker: "Warum fordert ihr ihn nicht zu einer religiösen Debatte heraus, anstatt ihn zu töten?"4 Man kann sich vorstellen, wie dieser religiöse Wettstreit endete. Nichiren Daishonin berichtet: "Als ich ihnen ihre Fehler und Abweichungen vor Augen führte, begannen einige der Priester zu fluchen, andere wurden ganz kleinlaut, wieder andere erbleichten."

Das zeugt jetzt nicht grade von interreligiösem Geist. Auf Sado ging es aber auch nicht darum, dass Freunde mit unterschiedlicher religiöser Auffassung zu einem gemeinsamen Wort kommen. Es ging für Nichiren ums Überleben. Die anderen hatten echte Schwerter und Nichirens Schwert war das Lotos-Sutra, das Wort.

Im Koran heißt es: "Und hätte Allah gewollt, Er hätte euch alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht, doch Er wünscht euch auf die Probe zu stellen durch das, was Er euch gegeben. Wetteifert darum miteinander in guten Werken. Zu Allah ist euer aller Heimkehr; dann wird Er euch aufklären über das, worüber ihr uneinig wart."5

Man lässt die Menschen des Evangeliums, die Christen, also das sein, was sie sein wollen, aber eigentlich geht es am Ende doch zu Allah und dann werden auch die Christen merken, dass sie auf Irrwegen unterwegs waren. Interreligiöse Kompetenz sieht anders aus. Aber vielleicht sollte man das im historischen Kontext betrachten.

Interreligiöser Dialog ist Friedensarbeit.

Die Geschichte des interreligiösen Dialogs6 früherer Jahrhunderte handelt meistens von weltoffenen Herrschern, die sich mit reisenden Gelehrten über ihre Religionen austauschten, wie z.B. Franz von Assisi mit Sultan al-Malik al-Kâmil im Jahre 1219. Erst mit der Weimarer Verfassung von 1919 wurde Religionsfreiheit deutschlandweit ausgesprochen. Vorher wäre interreligiöser Dialog in Deutschland gar nicht möglich gewesen, weil das Ausüben anderer Religionen nicht toleriert wurde. Aber mit wem sollte man sich austauschen? Früher war es einfach so, dass die Völker und Nationen dieser Erde und damit ihre religiösen Traditionen sich kaum mischten. Lange Zeit wurde der Westen von einer einheitlichen, christlichen Kultur geprägt und der Osten war muslimisch.

Doch 1893 fand in Chicago das erste 'Weltparlament der Religionen' statt. Hundert Jahre später, 1993, wurde es wiederholt. Eine 'Erklärung zum Weltethos' wurde beschlossen. In dieser Zeit war die Durchmischung der Erdbevölkerung, die Globalisierung, bereits in vollem Gange.

In Deutschland waren seit den 60er Jahren nicht nur Gastarbeiter aus Italien, Spanien und Griechenland zugezogen, sondern auch aus der Türkei. Heute leben rund 3 Millionen türkischstämmige - zumeist muslimisch gläubige - Menschen in Deutschland. In dieser Zeit bekam die Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs eine ganz neue Dimension. Es ging nicht um einen Austausch von Forschern oder Gelehrten, es ging um Probleme vor Ort. 1998 erschien der 'Brief der Religionen an die Religionen', welcher die Grundfragen des interreligiösen Dialoges für die vor uns liegende Zeit umreißt.7

Brief der Religionen an die Religionen

Darin heißt es: "Es ist an der Zeit, aufeinander zuzugehen. Die Religions-gemeinschaften fühlen sich mitverantwortlich für das gesellschaftliche Zusammenleben und sind sich der Bedeutung der Religionen für das öffentliche Leben bewusst. Religion ist nicht nur Privatsache. Die Frage der religiösen Unterweisung an den öffentlichen Schulen wird in vielen Ländern der Bundesrepublik gestellt. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet - zumal in seinen grundlegenden ersten Artikeln - zu einem konstruktiven Zusammenwirken, nicht nur zu einer äußerlichen Toleranz. Wir können die Fragen nach einem solchen Zusammenwirken aus solchen Gründen, vor allem aber aus unserem je eigenen Selbstverständnis heraus, nicht länger hinausschieben."8

Interreligiöser Dialog könnte in den verschiedensten Formen stattfinden, zum Beispiel über Nachbarschaftskontakte oder auf dem Markt. Passiert das? Multikulturelle Stadtteilfeste werden veranstaltet, man probiert gerne das Essen anderer Kulturen, aber die Religion? Vertreter nichtchristlicher Religionen begegnen Schulklassen. Kinder und Jugendliche fragen ganz offen: "Was glaubst du denn?" Das trauen die Erwachsenen sich oft nicht. Einen Kollegen auf seine Religion ansprechen, das ist etwas intimes, das macht man nicht.

So findet interreligiöser Dialog meistens in Form eines "institutionellen Dialogs mit mandatierten Repräsentanten" statt, wie Prof. Dr. Ulrich Dehn in seinem Artikel zum interreligiösen Dialog schreibt. "In Anbetracht der großen muslimischen Bevölkerung in Deutschland entfaltet sich das Thema des interreligiösen Dialogs meist an diesem Bereich und schließt oft das Anliegen ein, auch „Problemfelder“ zu behandeln." 9

Im Jahr 1998 wurde auch der Inter-Religiöse Runde Tisch von Köln Mülheim10 (IRRT) gegründet. Gründungsinstanz war das Interkulturelle Referat der Stadt Köln. Dabei handelt es sich um eine solche institutionelle Dialogform, wie Prof. Dehn sie beschreibt. Aber das Besondere ist: Hier treffen sich keine übergeordneten Verantwortlichen, sondern mandatierte Repräsentanten der Religionsgemeinschaften vor Ort. Wir fühlen uns mitverantwortlich für das gesellschaftliche Zusammenleben im Stadtteil. Dieser Passus aus dem 'Brief der Religionen' findet sich auch im Kooperationspapier des IRRT. Ich sage immer, das Wesen des interreligiösen Dialogs ist die Fluktuation. Als Vertreter der SGI-D bin ich das letzte, nach 18 Jahren noch amtierende Gründungsmitglied. Alle anderen Religionsvertreter kamen im Laufe der Zeit neu hinzu. Pfarrer und Pastoren gingen in Rente oder wurden versetzt. Moschee-Vereinsmitglieder zogen um oder wurden durch interne Querelen vertrieben. Es geht rein und raus beim IRRT. Immer wieder heißt es von neuem: Aufbauarbeit leisten, Vertrauen gewinnen.

Doch für jene von uns, die jetzt seit vielen Jahren dabei sind, verbindet sich mit dieser Arbeit tiefe Zuneigung und Freundschaft in einer Qualität, wie man sie sonst nirgendwo findet.

Einmal im Jahr veranstaltet der IRRT das so genannte Fest der Religionen mit über 200 TeilnehmerInnen. Es gibt Kultur, Essen und Trinken. Über ein Festmotto, z.B. "Orte des Friedens", "Wer ist für Dich wichtig?" oder "Spielt der Weltfrieden in Deinem Gebet eine Rolle?" werden die Gäste aufgefordert, miteinander über ihre Religion ins Gespräch zu kommen. Bei diesem Dialog an der Basis stellt sich dann vielleicht heraus, dass mein Gegenüber kaum etwas über die eigene Religion weiß, sondern es einfach immer schon 'macht'. Man trifft aber auch auf Menschen, die sehr gut Bescheid wissen und ihren Glauben genau wie wir alltäglich nutzen. Andere haben einfach Angst, bekehrt zu werden.

Doch beim interreligiösen Dialog geht es nicht darum, sein Gegenüber zu bekehren, sondern um gegenseitiges Wahrnehmen mit Respekt. Das geht über die Toleranz (von lat. tolerare - ertragen) des anderen hinaus. Respekt (von lat. respecto - zurückschauen, berücksichtigen) bedeutet Wertschätzung und Aufmerksamkeit.

In seinem Vorwort zur neu übersetzten Gosho (Die Schriften Nichiren Daishonins - Herder 2014) betont Präsident Ikeda, dass diese Publikation den Dialog zwischen dem Buddhismus und den Religionen des deutschsprachigen Raumes fördert. Er schreibt weiter: "Wie kann man den Menschen Hoffnung machen? Wie kann man dem Leben einen Sinn geben? Diese Fragen zu beantworten muss die grundlegende Aufgabe aller Religionen sein. Der Seelenfrieden des Einzelnen, das Glück und der Frieden der Menschheit ist das Ziel aller Religionen. In diesem Sinne streben alle Religionen im Grunde ihres Wesens danach, den Menschen zu dienen und ihnen eine Lehre anzubieten.

Für diese Gemeinsamkeit ein tiefes Bewusstsein zu entwickeln - das ist heute die unabdingbare Voraussetzung für eine Religion in der globalisierten Welt. Auf diesem Fundament sollten interreligiöse Dialoge stattfinden, eine Aufgabe, welche die gesamte Zivilisation betrifft... "11

 

 

Fußnoten

  1. Koran 3;64. O Volk der Schrift (der Bibel), kommt herbei zu einem Wort, das gleich ist zwischen uns und euch: dass wir keinen anbeten denn Gott und dass wir Ihm keinen Nebenbuhler zur Seite stellen und dass nicht die einen unter uns die anderen zu Herren nehmen statt Gott.» Doch wenn sie sich abkehren, dann sprecht: "Bezeugt, dass wir uns (Gott) ergeben haben."
  1. http://www.sgi-d.org/ueber-uns/sgi/charta?searchterm=präambel
  1. Max Deeg, Lotos Sutra, S. 238
  1. Die Schriften Nichtren Daishonins (SND), Herder Verlag 2014, S. 955 ff
  1. Koran 5:48. Wir haben dir das Buch hinabgesandt mit der Wahrheit, als Erfüllung dessen, was schon in dem Buche war, und als Wächter darüber. Richte darum zwischen ihnen nach dem, was Gott hinabgesandt hat, und folge nicht ihren bösen Neigungen gegen die Wahrheit, die zu dir gekommen ist. Einem jeden von euch haben Wir eine klare Satzung und einen deutlichen Weg vorgeschrieben. Und hätte Allah gewollt, Er hätte euch alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht, doch Er wünscht euch auf die Probe zu stellen durch das, was Er euch gegeben. Wetteifert darum miteinander in guten Werken. Zu Allah ist euer aller Heimkehr; dann wird Er euch aufklären über das, worüber ihr uneinig wart.
  1. Geschichte des interreligiösen Dialogs: http://www.akr-berlin.de/20.html
  1. ebda.
  1. Der 'Brief der Religionen an die Religionen' des Runden Tisches der Religionen, gegründet aufgrund einer Initiative von WRCP Deutschland 1998: http://www.religionsforpeace.de/content/documents/Brief%20der%20Religionen%20an%20die%20Religionen%20in%20Deutschland.pdf
  1. vgl. Artikel von Prof. Dr. Ulrich Dehn zum Thema Interreligiöser Dialog:  http://ezw-berlin.de/html/3_152.php
  1. www.irrt-koeln.de
  1. SND, S. XI

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